Vom Umgang des Schiedsrichters mit Interessenkonflikten in der Schiedsgerichtsbarkeit

von Dr. iur. HSG Christian Alexander Meyer, licencié spécial en droit européen ULB; Rechtsanwalt und Schiedsrichter

Der Internationale Schiedsgerichtshof in PARIS (ICC) hat im Rahmen seiner Schiedsordnung neun Punkte in seinem aktuellen Merkblatt für die Parteien und das Schiedsgericht über die Durchführung des Schiedsverfahrens nach der ICC-Schiedsordnung vom 22. September 2016 festgehalten. Der folgende Texte nennt die Bestimmungen und zeigt das Umfeld dazu für die Schweiz.

Einleitung
Oberste Pflicht jedes Schiedsrichters ist nicht parteiisch und unabhängig zu entscheiden. Das ergibt sich aus dem Gesetz (Art. 180 Bundesgesetz über das internationale Privatrecht, IPRG, oder Art. 367 ff. Zivilprozessordnung, ZPO).

Beurteilungsgrundlagen
Neben der gesetzlichen Regelung haben Schiedsinstitutionen, die die Verfahren begleiten, dazu Regeln erlassen: Art. 12 ff. der ICC Schiedsordnung oder Art. 9 ff. der Internationalen Schweizerischen Schiedsordnung (SCAI). Hinzu kommen internationale Empfehlungen wie Art. 8 ff. der UNCITRAL Rules 2013 der United Nations Commission on International Trade Law oder die Guidelines on Conflict of Interest in International Arbitration 2014 der International Bar Association (IBA Guidelines).
Art. 180 IPRG spricht von Umständen, die Anlass geben zu berechtigten Zweifeln an der Unabhängigkeit des Schiedsrichters, während die IBA Guidelines auf ganzen acht Seiten konkrete Fallkonstellationen sehr detailliert aufzählen. Dazwischen nennt die ICC neun Punkte in ihrem Merkblatt für die Parteien und das Schiedsgericht über die Durchführung des Schiedsverfahrens nach der ICC-Schiedsordnung vom 22. September 2016, Teil III (ICC Merkblatt):

– Der Schiedsrichter/seine Anwaltskanzlei vertreten oder beraten eine der Parteien oder eines ihrer verbundenen Unternehmen heute oder früher.

– Der Schiedsrichter/seine Anwaltskanzlei sind oder waren gegen eine der Parteien oder eines ihrer verbundenen Unternehmen tätig.

– Der Schiedsrichter/seine Anwaltskanzlei unterhalten eine geschäftliche Beziehung zu einer der Parteien/einem verbundenen Unternehmen oder es besteht ein persönliches Interesse am Ausgang der Streitigkeit.

– Der Schiedsrichter/seine Anwaltskanzlei sind oder waren im Auftrag einer der Parteien oder eines ihrer verbundenen Unternehmen als Geschäftsführer, Vorstands- oder Aufsichtsratsmitglied, leitender Angestellte oder in anderer Funktion tätig.

– Der Schiedsrichter/seine Anwaltskanzlei sind oder waren an der Streitigkeit beteiligt oder haben eine Stellungnahme zur Streitigkeit in einer Art und Weise abgegeben, die ihre Unparteilichkeit beeinflussen könnte.

– Der Schiedsrichter hat eine berufliche Beziehung oder enge persönliche Beziehung zu einem anwaltlichen Vertreter einer der Parteien oder zu dessen Anwaltskanzlei.

– Der Schiedsrichter ist oder war Schiedsrichter in einem Verfahren mit Beteiligung einer der Parteien oder eines ihrer verbundenen Unternehmen tätig.

– Der Schiedsrichter ist oder war Schiedsrichter in einem mit dem vorliegenden Verfahren in Verbindung stehenden Verfahren.

– Der Schiedsrichter oder künftige Schiedsrichter wurde bereits in der Vergangenheit von einer der Parteien oder einem ihrer verbundenen Unternehmen oder vom anwaltlichen Vertreter einer der Parteien oder von dessen Anwaltskanzlei als Schiedsrichter benannt.

Hilfsmittel erleichtern den Entscheid
Nicht nur die eben aufgezählten Konstellationen gemäss ICC Merkblatt sondern auch die weiteren Empfehlungen anderer Organisationen sind geeignete Hilfestellungen, die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit des Schiedsrichters zu thematisieren. Allerdings muss jeder Schiedsrichter und jede Partei, die einen Schiedsrichter als befangen erachtet, selbständig und überzeugend zum Schluss kommen, dass der Anschein der Befangenheit nicht überwindbar ist. Erfahrung und gesunder Menschenverstand sind gefordert.

Erwägungen
– Keine Verfahrensbeteiligten mögen Überraschungen;

– Die Unbefangenheit muss vor und während eines Verfahrens gewährleistet bleiben;

– Der Lauf der Zeit relativiert gewisse Beurteilungskriterien. Die IBA Guidlines etwas befreien nach drei Jahren;

– Die Schiedsrichter sollen in Annahmeerklärung und Begleitunterlagen offen und im Zweifel umfassend über Konfliktthemen orientieren oder eine Anfrage direkt ablehnen;

– Die Parteien und deren Vertreter müssen das Umfeld der eigenen und der Gegenpartei vernünftig in die Konfliktbeurteilung einbeziehen;

– Gerade grössere Anwaltskanzleien mögen Konfliktsituation vielleicht vermehrt zentral in einer Kompetenzstelle erwägen;

– Die Schiedsinstitutionen sollen den Aufwand ersetzter Schiedsrichter fair honorieren, insbesondere, wenn der Konflikt durch vom Schiedsrichter nicht beeinflussbare Ereignisse verursacht wird.

 

Zwei Blicke auf die weite Common Law Praxis
Am 30. September 2016 heisst es in einem staatlichen US-Verfahren zur Sistierung eines Schiedsverfahrens: „The burden on a challenging party for vacating an arbitral award due to “evident partiality” requires the challenging party to demonstrate facts that would cause a reasonable person to conclude that an arbitrator was partial to one party to the arbitration.“ US District Court for the District of Columbia, connected to Argentina v. AWG Group Ltd., No. 15-1057 (BAH) (D.D.C. Sept. 30, 2016) (AWG (Confirmation Opinion)).
Auch in Grossbritannien 2016: „The judge thus commented that, although the Guidelines are very valuable to cases of international arbitration, there are some shortcomings and the Guidelines should allow for flexibility on a case-by-case basis.“ (Reference: W Limited v M SDN BHD 2016 EWHC 422 Comm). Aus angelsächsischer Sicht sind die IBA Guidelines wohl mit „robust common sense“ anzuwenden.

Bundesgericht
Das Bundesgericht meint zur Unabhängigkeit (BGer, Entscheid 4A_386/2015 vom 7. September 2016, französisch): Nachträgliche Befangenheit kann Revisionsgrund sein (E 2.3.5): War ein Einzelschiedsrichter bei einer Schweizer Kanzlei im Verbund mit einer deutschen Kanzlei, die eine Gruppengesellschaft einer Prozesspartei in anderer Sache beraten hat, befangen? Das Bundesgericht erkannte keinen Konflikt in der Sache. IBA Guidelines 1.4, 2.3.6, 3.1.4, 3.2.1, 3.2.3, wurden erwogen und 4.2.1 als nicht verletzt erkannt (E 3.3.2). Weil verschiedene Anwälte in einem lockeren Anwaltsverbund in der betroffenen Kanzlei direkt keine Gruppengesellschaft beraten und kein signifikantes Einkommen erzielt haben, die Gruppengesellschaft im Ausland durch eine Drittperson beraten wurde und keine bedeutende Beziehung zur Gruppengesellschaft im Ausland bestand: E 3.2.2 ergibt dann gemäss den als problemlos erachteten Konstellationen keinen Konflikt: „in casu, l’hypothèse, visée par le chiffre 4.2.1 des lignes directrices, dans laquelle un cabinet, associé ou membre d’une alliance avec le cabinet de l’arbitre, sans partager des honoraires importants ou d’autres revenus avec ce cabinet-ci, rend des services à l’une des parties ou à une société affiliée à l’une des parties dans une affaire non liée à l’arbitrage pendant. Or, cette disposition figure dans la liste verte qui énumère des cas de figure où il n’existe objectivement aucun conflit d’intérêts, ni en apparence ni en fait, situations que l’arbitre n’est pas tenu de révéler.“

Zum Mass des Misstrauens
„Die Garantie des verfassungsmässigen Richters wird bereits verletzt, wenn bei objektiver Betrachtung Gegebenheiten vorliegen, die den Anschein der Befangenheit oder die Gefahr der Voreingenommenheit zu begründen vermögen. Voreingenommenheit und Befangenheit in diesem Sinne werden nach der Rechtsprechung angenommen, wenn im Einzelfall anhand aller tatsächlichen und verfahrensrechtlichen Umstände Gegebenheiten aufscheinen, die geeignet sind, Misstrauen in die Unparteilichkeit des Richters zu erwecken. Dabei ist nicht auf das subjektive Empfinden einer Partei abzustellen. Das Misstrauen in die Unvoreingenommenheit muss vielmehr in objektiver Weise begründet erscheinen. Es genügt, wenn Umstände vorliegen, die bei objektiver Betrachtung den Anschein der Befangenheit und Voreingenommenheit hervorrufen. Für die Ablehnung wird nicht verlangt, dass der Richter tatsächlich befangen ist.“ (BGE 140 III 221). Konkret war der Schwager der Richterin am Zustandekommen des dem Streit zu Grunde liegenden Vergleichs beteiligt (vgl. Punkt 6 ICC Merkblatt, IBA Guidelines 3.3.5).

Klarer Fall
Bestätigung der Ablehnung eines Richters, wenn zu einer Partei ein noch offenes Mandat besteht oder er für eine Partei in dem Sinne mehrmals anwaltlich tätig wurde, dass zwischen ihnen eine Art Dauerbeziehung besteht (BGE 138 I 406, Punkt 1 ICC Merkblatt oder IBA Guidelines 1.4)

Fachpublikationen
Es „Entsteht der Anschein der Befangenheit, wenn sich der Schiedsrichter durch die Art seiner Äusserung in einer Weise festgelegt hat, die bei objektiver Betrachtungsweise befürchten lässt, er habe seine Meinung abschliessend gebildet und werde die sich im Streitfall konkret stellenden Fragen nicht mehr umfassend und offen beurteilen…“ (BGE 133 I 89, Punkt 5 ICC Merkblatt, positiv IBA Guideline 4.1.1). Fachpublikationen sind am besten unabhängig und neutral zu formulieren.

Gleiche Regeln für alle
Das Gebot der Unparteilichkeit gilt für den Vorsitzenden und die übrigen Schiedsrichter in gleicher Weise (BGE 115 V 257). Die staatlichen Grundsätze gelten auch für Schiedsgerichte und umgekehrt (BGE 135 I 14).

Erkannte Konfliktsituationen
Konfliktsituationen sind durch die Betroffenen zu thematisieren. Der Schiedsrichter orientiert seine Mitschiedsrichter und die betroffene Institution. Die Parteien haben institutionelle oder ordentliche Rechtsmittel (Art. 12 Swiss Rules (SCIA), Art. 14 ICC Rules, Art. 180 IPRG und Art. 367 ff ZPO etc.).

Was folgt danach?
Wird ein Befangenheitsgrund erkannt, kann ein ergangener Schiedsspruch aufgehoben werden oder das Gremium ohne befangenen Schiedsrichter weiterfahren oder der Schiedsrichter ist zu ersetzen. Alle Folgen sind immer mit zu bedenken, sobald die Befangenheit thematisiert wird.

Die vorstehenden Aspekte wurden am 18. Oktober 2016 mit interessierten Parteien, Anwälten und zwei Referenten diskutiert, während eines Arbitration Breakfast Meetings der Zürcher Handelskammer. Diese ist Teil der Swiss Chambers‘ Arbitration Institution (SCAI).