Neue Arbeitszeiterfassung – wirklich eine Entlastung?

Art. 46 des Arbeitsgesetzes (ArG) verpflichtet die Arbeitgeber, die Arbeitszeiten der Arbeitnehmenden zu erfassen. Dabei müssen Dauer, Beginn und Ende der täglichen und wöchentlichen Arbeitszeit sowie die Pausen von mehr als einer halben Stunde aus der Zeiterfassung hervorgehen (Art. 73 ArGV1).

In der Praxis nehmen es viele insbesondere kleinere Betriebe mit der Arbeitszeiterfassung nicht immer so genau. In manchen Betrieben fehlt sie gänzlich. In letzter Zeit wurde zudem in der flexibilisierten Arbeitswelt immer mehr der Ruf nach einer Lockerung der starren Erfassungsvorschriften laut.

Der Bundesrat hat nun auf den 1. Januar 2016 die Verordnung 1 zum ArG mit zwei Artikeln ergänzt (Art. 73a und 73b ArGV1). Damit soll die Pflicht der Arbeitgeber zur Erfassung der Arbeitszeit gelockert oder ganz abgeschafft werden. Die neue Regelung bringe gemäss dem SECO (1) eine administrative Entlastung (2).

Ist dem wirklich so?

Verzicht auf die Arbeitszeiterfassung (Art. 73a ArGV1)

Neu ist es grundsätzlich möglich, bei Arbeitnehmenden, welche bei ihrer Arbeit über eine grosse Autonomie verfügen und die Arbeitszeiten mehrheitlich selber festsetzen können, auf die Arbeitszeiterfassung ganz zu verzichten. Ein solcher Verzicht ist jedoch nur zulässig für Arbeitnehmende mit einem Bruttojahreseinkommen (inkl. Boni) von mehr als CHF 120’000.00 (3), und der Verzicht muss mit dem betroffenen Arbeitnehmenden schriftlich vereinbart werden.

Hinzukommt, dass der Verzicht nur dann mit den Arbeitnehmenden vereinbart werden kann, wenn die Sozialpartner dies in einem Gesamtarbeitsvertrag (GAV) vorgesehenen haben. Mit anderen Worten, Arbeitgeber, die keinen GAV abgeschlossen haben, können mit den Arbeitnehmenden gar nicht vereinbaren, auf die Erfassung der Arbeitszeit zu verzichten.

Arbeitnehmende mit einem Bruttojahreslohn von mehr als CHF 120’000.00 gehören in der Regel dem Kader an, und das Kader wird normalerweise von einem GAV gar nicht erfasst.

Aus diesem Grund dürfte die Möglichkeit, gestützt auf Art. 73a ArGV1 auf die Zeiterfassung zu verzichten, einstweilen toter Buchstabe bleiben, abgesehen vielleicht von Branchen, in denen Arbeitnehmende mit einem solchen Lohn einem GAV unterstehen (z. B. Banken).

Vereinfachte Arbeitszeiterfassung (Art. 73b ArGV1)

Die Arbeitnehmervertretungen einer Branche oder eines Betriebs können ab dem 1. Januar 2016 mit dem Arbeitgeber vereinbaren, dass die Arbeitnehmenden nur noch die tägliche Arbeitszeit erfassen müssen und nicht mehr den Beginn und das Ende der Arbeitszeit und die Dauer der Pausen.

Besteht in einem Betrieb keine Arbeitnehmervertretung, kann die Vereinbarung mit der „Mehrheit der Arbeitnehmenden“ getroffen werden. Erforderlich ist somit eine kollektive Vereinbarung mit den Arbeitnehmenden eines Betriebs als formelle Voraussetzung für die vereinfachte Arbeitszeiterfassung. Als Arbeitnehmervertretung kommen dabei eine Gewerkschaft oder eine gewählte Personalkommission (4) in Frage.

Die Vereinbarung mit der Arbeitnehmervertretung muss die Arbeitnehmerkategorien bezeichnen, für welche die vereinfachte Zeiterfassung gelten soll, und sie muss besondere Bestimmungen zur Einhaltung der Arbeits- und Ruhezeitbestimmungen enthalten. Zudem muss der Arbeitgeber mit der Arbeitnehmervertretung ein paritätisches Verfahren festlegen, mit dem die Einhaltung der Vereinbarung überprüft wird.

Die vereinfachte Arbeitszeiterfassung ist zudem nur für Arbeitnehmende möglich, welche ihre Arbeitszeiten zu einem namhaften Teil selber festsetzen können (Art. 73b Abs. 1 ArGV1). Gemäss der Wegleitung des SECO handelt es sich hier um Personen des mittleren Kaders, die nicht direkt in die Produktion/Leistungserbringung des Betriebs eingespannt sind.

Kleinere Betriebe mit weniger als 50 Mitarbeitenden können die vereinfachte Zeiterfassung auch individuell mit den entsprechenden Arbeitnehmenden schriftlich vereinbaren. In dieser Vereinbarung ist auf die geltenden Arbeits- und Ruhezeitbestimmungen hinzuweisen. Zusätzlich muss jährlich ein Einjahresgespräch stattfinden, in welchem die Arbeitsbelastung besprochen wird. Das Gespräch muss schriftlich dokumentiert werden.

Fazit

Die auf den 1. Januar 2016 eingeführten „Erleichterungen“ bei der Zeiterfassung betreffen Personen des mittleren Kaders. Der Verzicht auf die Zeiterfassung dürfte aller Voraussicht nach ein Einzelfall bleiben, weil es hierfür einen GAV braucht und weil auf Kadermitarbeitende in der Regel der GAV nicht anwendbar ist.

Die Vereinbarung der erleichterten Zeiterfassung erfordert für Betriebe mit 50 oder mehr Arbeitnehmenden eine kollektive Vereinbarung mit der Arbeitnehmervertretung oder der Mehrheit der Arbeitnehmenden. Besteht eine solche bereits, kann die neue Regelung unter Umständen eine punktuelle Erleichterung mit sich bringen. Bei Betrieben mit einer funktionierenden Arbeitszeiterfassung ist aber fraglich, ob die Einführung einer neuen Mitarbeiterkategorie (mit vereinfachter Zeiterfassung) wesentliche administrative Erleichterungen mit sich bringt. Betriebe ohne Arbeitnehmervertretung müssen sich überlegen, ob sich der administrative Aufwand für eine Vereinbarung mit der „Mehrheit der Arbeitnehmenden“ im Verhältnis zu den Erleichterungen lohnt. Dasselbe gilt für kleinere Betriebe mit weniger als 50 Mitarbeitenden. Zwar können diese die erleichterte Zeiterfassung mit den Arbeitnehmenden individuell vereinbaren, doch muss ein Endjahresgespräch über die Arbeitsbelastung geführt und dokumentiert werden. Ohne Mehraufwand ist die erleichterte Zeiterfassung nicht zu haben.

Patrick M. O’Neill
Fachanwalt SAV Arbeitsrecht
oneill@lanter.biz

 

(1) Staatssekretariat für Wirtschaft
(2) http://www.seco.admin.ch/themen/00385/00390/05372/index.html?lang=de
(3) Bei Teilzeit reduziert sich dieser Betrag entsprechend dem Pensum.
(4) vgl. Art. 5 – 7 Mitwirkungsgesetz