Korruptionsbekämpfung im Vertriebsrecht

von Dr. iur. HSG Christian Alexander Meyer, licencié spécial en droit européen ULB; Rechtsanwalt

 

Jede Vertriebskette ist aus rechtlich selbständigen Vertriebsmittlern gebildet. Seit 2000 ergeben sich daraus zusätzliche Compliance-Pflichten für die Lieferanten und Auftraggeber.

Der Beizug von Vermittlern macht immer dann Sinn, wenn sich der Aufbau einer eigenen Infrastruktur für das betroffene Unternehmen (noch) nicht lohnt. Eine Zweigniederlassung ist oft wegen steuerlichen Gründen im internationalen Verhältnis zur Geschäftsabwicklung mit Unternehmen, an denen ein Staat massgeblich beteiligt ist oder die staatliche Aufgaben erfüllen, unabdingbar. KMUs wählen dafür dann meist einen lokalen Agenten, der neben seiner Hauptaufgabe gemäss Art. 418 OR ihr Domizilhalter ist, Steuern abrechnet und bei der Vertragserfüllung hilft.

Gemäss Art. 418a OR ist die Hauptaufgabe eines Agenten dem Auftraggeber Geschäfte zu vermitteln oder auf deren Rechnung abzuschliessen! Mit anderen Worten: Er muss sein Gegenüber mit allen legalen Mitteln überzeugen, das offerierte Geschäft abzuschliessen.

Wenn nun ein solcher Agent einen Beamten oder eine staatliche Stelle oder ein Unternehmen, das unter staatlicher Kontrolle steht, zum Vertragsabschluss bringt, wird die Linie zur Abgrenzung zur Bestechung dünn. Muss oder darf der Agent seinen Auftraggeber mit den Exponenten des Staatsbetriebes zu Tisch bitten zur Gesprächsanbahnung? Ist ein Treffen zum Mittagessen mit einem Unternehmen, an dem der Staat einen Minderbetrag hat, noch erlaubt? In Frankreich herrscht beispielsweise noch die Erwartung, dass wenn man sich nicht zum Essen trifft, man sich gar nicht erst zu verabreden braucht.

Der Ursprung dieser Rechtsentwicklung liegt bei der OECD[1] in ihrer “Convention on Combating Bribery of Foreign Public Officials 1997“, die 2000 in der Schweiz in Kraft trat. In der Folge wurde unser Strafrecht mehrfach angepasst[2]: Art. 102 StGB und der neunzehnte Titel Art. 322ter ff. StGB.[3]

Ist ein Bestechungsdelikt nicht eindeutig einer natürlichen Person zuordenbar, haftet subsidiär das Unternehmen für Bestechungsdelikte gemäss Art. 102 Abs. 1 StGB wegen mangelhafter Organisation. Trotz eines Bussenrahmens von bis CHF 5‘000‘000 handelt es sich um einen Tatbestand des Übertretungsstrafrechts.[4]

In technisch spezialisierten Märkten ist nicht nur die Zahl der Anbieter überschaubar, auch die Zahl der geeigneten Mittelsleute, die kompetent genug und regional bestens vernetzt sind, wird sehr klein. Der Auftraggeber und Lieferant hat bei der Auswahl seiner Vertriebsmittler die nochmals erhöhte Pflicht zur sorgfältigen Auswahl, Instruktion und Überwachung.[5]

Das Strafrecht verlangt vom Unternehmen, dass dieses alles organisatorisch Erforderliche vornimmt und zumutbare Massnahmen umzusetzen um Bestechungsdelikte zu verhindern.[6]

Die Gefahr besteht, dass ein Beauftragter wie im Fall VM Remonts[7] in der EU sich die Arbeit einfach macht und seine Pflichten grob verletzt. Hat man alles vorgekehrt, damit der Agent nicht zwei Herren dient und sein Wissen „gewinnbringend“ überall „verrät“? Taugt das projektbezogene Konkurrenzverbot? Wie ist der Agent im Vollzug zu überwachen? Besonders in korruptionsgefährdeter Umgebung[8] ist Vorsicht geboten.

Der Lieferant ist gut beraten, die Integrität des Abnehmers genauestens zu prüfen und eine projekt- oder warenbezogene Exklusivität zu vereinbaren. Selbstverständlich ist die Geheimhaltung strikt und effizient zu regeln[9] und zu überwachen. Die Exklusivität dient hier nicht per se dazu den Wettbewerb allenfalls einzuschränken sondern der Korruption durch Diener mehrerer Lieferanten vorzubeugen. Dieser Gedanke mag durchaus in Zukunft auch bei der Rechtfertigung von Exklusivabsprachen gemäss Art. 5 Abs. 2 KG vermehrt angerufen werden, dient er doch direkt auch der Korruptionsbekämpfung und damit der Stärkung des Wettbewerbs.

Bisherige Korruptionsstrafverfahren werfen die Frage auf, ob die Ermittlungsbehörden bei Grossprojekten, in denen sie schwarze Schafe entdeckt haben, anschliessend von allen Projektbeteiligten – auch den lauter handelnden – zumindest einen Projektrabatt via Bussgelder zurückbekommen möchten, und die lauteren Beteiligten vielleicht nur aufgrund des politischen Drucks in die Ermittlungen oder gar den Strafprozess einbeziehen.

Bereits im Fall VM Remonts wurde auf das Risiko ungenügender Compliance gemäss EU Kartellrecht hingewiesen[10]. Sehr wahrscheinlich hätte die Umsetzung der hier genannten Empfehlungen: Integritätsprüfung, Exklusivitätsvereinbarung, Geheimhaltung und geeignete Überwachung dazu geführt, generell Lieferanten oder Auftraggeber aus der Straf- und Kartellrechtsverantwortung zu nehmen, nicht nur im Fall VM Remonts. Das gilt besonders für das Korruptionsstrafrecht.

Offen ist, ob die vorstehende Warnung nur für den Beizug von Agenten gilt oder ob auch beigezogene Abnehmer, die auf eigene Rechnung und in eigenem Namen aber durchaus im Interesse des Lieferanten handeln, eine subsidiäre Strafbarkeit der Lieferanten im Einzelfall zu begründen vermögen.

Schliesslich ist darauf hinzuweisen, dass seit dem 1. Juli 2016 bestechen oder sich bestechen lassen neu im privaten Sektor Offizialdelikt ist und bei dienstlicher oder geschäftlicher Tätigkeit von Amtes wegen verfolgt wird, ausser bei leichten Fällen. Das heisst, wer einem Vertreter einen nicht gebührenden Vorteil anbietet, damit der Empfänger pflichtwidrig handelt oder einen Ermessensentscheid zu Gunsten des Anbieters oder eines Dritten trifft, macht sich wie der Annehmende strafbar.

Im Blick stand vorstehend der Vertrieb, die Gedanken etwa zur Korruptionsbekämpfung gelten generell, auch bei der Bekämpfung der Geldwäscherei.[11]


[1] Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung in Europa.

[2]Am 1. Mai 2000 wurde aktive Bestechung fremder Amtsträger strafbar, Art. 322septies StGB. Am 1. Oktober 2003 trat Art. 104quater StGB, heute Art. 102 StGB, in Kraft. Am 1. Juni 2006 wurden die Bestimmungen auf passive Bestechlichkeit ausgedehnt mit Ausnahme für Art. 102 StBG schliesslich wurde Bestechung im privaten Sektor zum Delikt, Art. 4a Abs. 1 a UWG.

[3] Vgl. auch Botschaft über die Genehmigung und die Umsetzung des Strafrechts-Übereinkommens und des Zusatzprotokoll des Europarates über Korruption vom 10. November 2004, BBl 2004 6983 ff.

[4] Art. 102 StGB.

[5] Vgl. die üblichen Sorgfaltsgrundsätze betreffend Auswahl, Instruktion und Überwachung einer Hilfsperson („cura in eligendo, in instruendo et in custodiendo“), Art. 101 OR.

[6] Art. 102 StGB und die einschlägig Literatur dazu, etwa Niggli/Wieprächtiger, Strafrecht I, 3.A., Basel 2013, ad 102 StGB, dort Rz. 219 ff. zu organisatorischen Vorkehrungen.

[7] In einem Bieterwettbewerb zogen drei Bewerber die gleiche Beraterin bei. Diese missbrauchte ihr Wissen unter Verwendung der erhaltenen Angaben des ersten Bewerbers für die Bewerbungen zwei und drei. Schlussanträge des Generalanwaltes vom 3. Dezember 2015, VM Remonts, C-542/14.

[8] Korruption ist nicht nur in ehemaligen Ostblock- oder in Entwicklungsländern eine ernst zu nehmende Gefahr. Im März 2015 klagte etwa die Bundesanwaltschaft den Ex-Informatikchef der Eidgenössischen Steuerverwaltung und zwei Manager aus der IT-Branche wegen Bestechung an. Im Projekt „Insieme“ entstand gemäss damaligen Pressemeldungen ein Millionenschaden.

[9] Dazu Meyer, Grenzen der Treuepflicht des Arbeitnehmers beim Stellenwechsel, Summajus 1999, 244 ff.

[10] Schlussanträge des Generalanwaltes vom 3. Dezember 2015, VM Remonts, C-542/14.

[11] Weiterführend zur Vermeidung der Geldwäscherei wird auf die ICC-Publikation ICC Anti Corruption Clause 2012 verwiesen.