Isabella d’Este und die internationale Rechtshilfe in Strafsachen Anmerkungen zum Urteil des Schweizerischen Bundesgerichts vom 13. Mai 2019

Marc Weber

Das höchste Gericht der Schweiz entschied mit einem in italienischer Sprache verfassten und sorgfältig begründeten Urteil vom 13. Mai 2019 über das Rechtshilfebegehren Italiens auf Herausgabe des Leonardo da Vinci zugeschriebenen Ölgemäldes „Ritratto di Isabella d’Este“. Die Republik Italien verlangte die Rückführung des in Italien konfiszierten und in der Schweiz beschlagnahmten Bildes, das sich seit über 100 Jahren in der Schweiz befand und für nur wenige Stunden nach Italien für eine Expertise gebracht worden war. Die Ausfuhr (zurück) in die Schweiz war nach italienischem Recht strafbar. Italien verlangtegestützt auf internationale Rechtshilfe in Strafsachen die Herausgabe des Bildes, das nicht gestohlen, aber unrechtmässig aus Italien in die Schweiz ausgeführt wurde.1 Das Bundesgericht verneinte den Anspruch.

  1. Sachverhalt

Im Jahr 2010 holte die Eigentümerin mit Wohnsitz in Italien ihr Bild in der Schweiz ab und brachte es vorübergehend für eine Untersuchung nach Italien. Sie hatte sich vorgängig bei den zuständigen Behörden in der Schweiz erkundigt, ob sie etwas Besonderes be- achten müsse, was verneint wurde. Nach erfolgter Untersuchung und nur gerade wenige Stunden danach, brachte sie das Bild zurück in die Schweiz, wo es seit 1913 gelegen war.2 Im Jahr 2013 soll ein Anwalt versucht haben, es für 95 Millionen Euro zu verkaufen. Im Jahr 2015 haben die italienischen Behörden per Zufall entdeckt, dass das Bild 2010 illegal aus Italien ins Ausland verbracht worden war, und liessen das Bild in der Schweiz beschlagnahmen. Die Eigentümerin wurde in Italien wegen illegaler Ausfuhr von Kulturgut zu 14 Monaten Gefängnis bestraft, was die Corte die Cassazione in Rom bestätigte. Das höchste Gericht Italiens schützte ebenso die in Italien ausgesprochene Einziehung (confisca).3

  1. Prozessgeschichte

Italien stellte ein erstes Rechtshilfegesuch gestützt auf internationale Rechtshilfe in Straf- sachen, was die Staatsanwaltschaft Lugano zwar guthiess, jedoch vom Bundesstrafgericht in Bellinzona mit Urteil vom 23. Dezember 2016 aufgehoben wurde, weil die Verurteilung der Eigentümerin noch nicht letztinstanzlich festgestellt worden war. Am 5. April 2018 stellten die Italiener ein zweites Rechtshilfegesuch und legten das letztinstanzliche Urteil vom 30. Januar 2018 vor. Die Staatsanwaltschaft Lugano hiess das Gesuch am 30. Mai 2018 gut, und das Bundesstrafgericht wies eine Beschwerde am 4. September 2018 der Eigentümerin ab. Erst das Bundesgericht hob den Entscheid auf und wies die Vorinstanz an, das Rechtshilfebegehren abzulehnen und die Beschlagnahme aufzuheben.

  1. Keine Durchsetzung von italienischen Exportvorschriften im Ausland

Das streitgegenständliche Bild war in Italien völlig unbekannt und deshalb auch nicht als Kulturgut4 registriert. Das italienische Recht (Decreto legislativo 22 gennaio 2004, n. 42, sog. Codice dei beni culturali) verlangt für die dauernde Ausfuhr von Kulturgütern, die älter als 50 Jahre alt sind, eine Exportbewilligung (Art. 174), auch wenn das Objekt vorgängig nicht zum Kulturgut erklärt wurde.5 Die unrechtmässige Ausfuhr wird mit Gefängnis oder Busse bestraft, und das Kulturgut kann eingezogen werden.

Gemäss des Rechts über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen bedarf es für die Herausgabe des „Tatobjekts“ eine doppelte (oder beidseitige) Strafbarkeit, das heisst, die nach dem Recht des ersuchenden Staates strafbare Handlung muss auch im ersuchten Staat strafbar sein.6 Die Ausfuhr von privatem Kulturgut ist nach Schweizer Recht frei.7 Die Einfuhr von Kulturgut ist im Schweizer Recht strafbar, wenn die Person, die das Kulturgut einführt, über keine Exportbewilligung aus dem Exportstaat verfügt oder die Einfuhr nicht oder unrichtig deklariert.8 Im Verhältnis zu Italien liegt aber keine strafbare Handlung vor, weil dieses Verbot nur – aber immerhin – für Kulturgüter gilt, die in einem der Anhänge zum bilateralen Abkommen mit der Schweiz erwähnt sind. Das ist bei Ölgemälden aber gerade nicht der Fall. Die einschlägige Strafbestimmung des Kulturgütertransfergesetzes (Art. 24 Abs. 1 lit. c KGTG) muss also einschränkend ausgelegt werden.9 Etwas anderes gilt, wenn das Bild in Italien zum Kulturgut erklärt worden und in einer Liste (im Zeitpunkt der Einfuhr in die Schweiz) eingetragen gewesen wäre.10 Auch das war nicht der Fall.

  1. Doppelte Strafbarkeit verneint

Die Vorinstanz bejahte die doppelte Strafbarkeit mit dem Hinweis, dass die Ausfuhr aus der Schweiz nicht strafbar sein müsse, sondern es genüge, wenn die Einfuhr in die Schweiz strafbar ist. Die „dottrina in Svizzera“ würde eine solche Auslegung des Kulturgütertransfergesetzes bejahen und nannte hierzu einen einzigen Aufsatz und zwar eine Publikation eines Richters der Vorinstanz.11 Das Bundesgericht hat zu Recht dieser Auslegung wider- sprochen12 und die Beschwerde gutgeheissen.

  1. Ergebnis

Die nationalen Ausfuhrverbote eines ausländischen Staates werden in der Schweiz nicht durchgesetzt, solange sie nicht in einem bilateralen Abkommen enthalten sind. Weil aus der Sicht der Schweiz keine rechtswidrige Einfuhr vorliegt, ist die beidseitige Strafbarkeit nicht gegeben. Ausländische Staaten können von den Schweizerischen Behörden die Her- ausgabe von geschmuggeltem Kulturgut gestützt auf Rechtshilfe in Strafsachen verlangen, wenn

– die Ausfuhr aus dem ersuchenden Staat strafbar ist; und

– ein rechtskräftiger letztinstanzlicher Entscheid über die Strafbarkeit im ersuchenden Staat vorliegt; und

– das Kulturgut von einer (nicht rückwirkenden) Vereinbarung mit der Schweiz erfasst ist;

oder

– das Kulturgut im ersuchenden Staat in einer Liste registriert ist.

Wenn diese Voraussetzungen kumulativ erfüllt sind, liegt die doppelte (oder beidseitige) Strafbarkeit nach dem Bundesgesetz über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen (IRSG) vor, sodass Rechtshilfe gewährt werden kann.13

 

1   Zur Rechtsgrundlage des Herausgabebegehrens siehe Art. 74a Abs. 1 Bundesgesetz über internationale Rechtshilfe in Strafsachen (SR 351.1): „Gegenstände oder Vermögenswerte, die zu Sicherungszwecken beschlagnahmt wurden, können der zu- ständigen ausländischen Behörde auf Ersuchen am Ende des Rechtshilfeverfahrens […] zur Einziehung […] herausgegeben werden.“

2   BGer 1C_447/2018 vom 13.5.2019, A.A. c. Ministero pubblico del Cantone Ticino; vgl. www.bger.ch; zur Publikation in der amtlichen Entscheidsammlung vorgesehen; Kurzzusammenfassung in Pra 108 [2019] VI-VII. Das Urteil sorgte für grosse Beachtung in der Presse; vgl. etwa Catherine Hickley, Court Denies Italy’s Request for Return of Disputed da Vinci Work, The New York Times vom 29.5.2019; Neue Zürcher Zeitung vom 31.5.2019, 22.

3   Cass., pen., 17.4.2018 (udienza 30. Januar 2018), N. 17116, unveröffentlicht; siehe hierzu Enzo Tomasinelli, Illecita esporta- zione dal territorio italiano di beni culturali: il caso del “Ritratto di Isabella D’Este” di Leonardo Da Vinci, Giur. Pen. Web, 2019, 1 (1-14).

4   Dabei handelt es sich um Objekte von künstlerischem, geschichtlichem, archäologischem, ethnoantropologischem, archivalischem oder bibliografischem Interesse (Art. 2 D.L. 22.1.2004, n. 42).

5   Das italienische Kassationsgericht hat die Möglichkeit der Erklärung zum Kulturgut bejaht, selbst wenn das Kulturgut im Zeitpunkt der Unterschutzstellung sich nicht in Italien befindet; so geschehen in einem älteren Entscheid betreffend einer ersten Version der Michelangelo-Skulptur Pietà Rondanini; vgl. Cass., sez. III, 8.1.1980 (Schiavo), Giur.it. 1981, II, 12; zum Ganzen vgl. Marc Weber, Unveräusserliches Kulturgut im nationalen und internationalen Rechtsverkehr, Berlin 2002, 142-151. Ob das Objekt rückwirkend zum Kulturgut erklärt werden kann, ist zweifelhaft, zumindest würde die Schweiz diese Qualifizierung wohl nicht anerkennen.

6   Europäisches Übereinkommen über die Rechtshilfe in Strafsachen vom 20.4.1959, SR 0.351.1; Art. 64 Abs. 1 Bundesgesetz über internationale Rechtshilfe in Strafsachen vom 20.3.1981 (IRSG), SR 351.1.

7   Verboten ist die dauernde Ausfuhr von Kulturgut im Eigentum des Bundes, das in einer besonderen Liste eingetragen ist (Art. 3 Abs. 2 lit. c KGTG), die vorübergehende Ausfuhr ist bewilligungspflichtig (Art. 5 KGTG).

8   Art. 24 Abs. 1 lit. c KGTG lautet: „Sofern die Tat nicht nach einer anderen Bestimmung mit höherer Strafe bedroht ist, wird mit Gefängnis bis zu einem Jahr oder Busse bis zu 100 000 Franken bestraft, wer vorsätzlich Kulturgüter rechtswidrig ein- führt oder bei der Ein- oder Durchfuhr unrichtig deklariert“. Art. 24 Abs. 3 KGTV lautet: „Wer Kulturgüter, die Gegenstand einer Vereinbarung nach Artikel 7 KGTG sind, in die Schweiz einführt oder durch sie durchführt, hat den Zollbehörden nachzuweisen, dass die Ausfuhrbestimmungen des ausländischen Vertragsstaates erfüllt sind. Verlangt der ausländische Vertragsstaat für die Ausfuhr von solchen Kulturgütern eine Bewilligung, so ist diese den Zollbehörden vorzulegen.“

9 BGer 1C_447/2018 vom 13.5.2019 (Fn. 1), E. 6.1. Die Schweiz kann mit den UNESCO-Mitgliedstaaten Staatsverträge über die Einfuhr und die Rückführung von Kulturgut abschliessen (Art. 7 Abs. 1 KGTG). Die Schweiz hat bisweilen mit Italien, Griechenland, Kolumbien, Ägypten, Zypern, China, Peru und Mexiko solche Vereinbarungen abgeschlossen; diejenige mit Italien ist am 27. April 2008 in Kraft getreten; vgl. Vereinbarung vom 20.10.2006 zwischen dem Schweizerischen Bundesrat und der Regierung der Republik Italien über die Einfuhr und die Rückführung von Kulturgut, SR 0.444.145.41.

10 BGer 1C_447/2018 vom 13.5.2019 (Fn. 1), E. 5.1.

11 Bundesstrafgericht 4.9.2018, E. 2.2. mH auf Giorgio Bomio, L’entraide internationale et les biens culturels, in: Marc-André Renold (Hrsg.), L’entraide judiciaire international dans le domaine des biens culturels, Etudes en droit de l’art, vol. 20, Zürich 2011, 26: „La condition de la double punissabilité est également donnée si les faits à la base de la requête d’entraide pénale étrangère se réfèrent uniquement à des exportations ou importations illicites de biens culturels.”; ähnlich Andrea F.G. Raschèr/Giorgio Bomio, Strafen und Rechtshilfe, in: Peter Mosimann/Marc-André Renold/Andrea F.G. Raschèr (Hrsg.), Kultur Kunst Recht, Basel 2009, 367-394 (380 N474).

12 BGer 1C_447/2018 vom 13.5.2019 (Fn. 1), E. 5.1: „L‘opinione dottrinale richiamata nella sentenza impugnata non è decisiva.”

13 Die Rechtshilfe ist freiwillig; vgl. Art. 1 Abs. 4 IRSG: „Aus diesem Gesetz kann kein Anspruch auf zwischenstaatliche Zusammenarbeit in Strafsachen abgeleitet werden.“

Kontaktperson: Dr. Marc Weber, weber@lanter.biz

Publikation im pfd-Format: Weber_BulletinK&R 2019-2_2020-1