Adrian Plüss, Stefano Caldoro
Generalversammlungen können trotz des Coronavirus und des Veranstaltungsverbots des Bundesrates durchgeführt werden, jedoch nur noch auf schriftlichem Weg oder in elektronischer Form respektive mit einem von der Gesellschaft bezeichneten unabhängigen Stimmrechtsvertreter. Dieser Beitrag gibt einen Überblick darüber, wie sie tatsächlich und effizient durchgeführt werden können.
I.
Generalversammlungen von Aktiengesellschaften (gleiches gilt auch für Gesellschafterversammlungen bei GmbH, Generalversammlungen von Genossenschaften und Vereinsversammlungen) sind in der Begriffswelt der Coronavirus-Notrechtgesetzgebung «private Veranstaltungen», die vorderhand nicht mehr stattfinden sollen. – Auch wenn kaum Sanktionen drohen, sind die obersten Exekutivorgane dieser Organisationen (das ist insbesondere der Verwaltungsrat einer Aktiengesellschaft) gleichwohl von Gesetzes wegen verpflichtet, diese Versammlungen innert einer bestimmten Frist durchzuführen, damit Beschlüsse zu den ordentlichen Traktanden gefasst werden können. Die Regelungen des Vereins- und des Gesellschaftsrechts ermöglichen nicht, die Versammlungen schriftlich oder elektronisch oder via Telefon- oder Videokonferenz abzuhalten.
Demgegenüber sieht die COVID-19-Verordnung 2 des Bundesrates in ihrer überarbeiteten Fassung vom 16. März 2020 vor, der Veranstalter könne «ungeachtet der voraussichtlichen Anzahl Teilnehmerinnen und Teilnehmer und ohne Einhaltung der Einladungsfrist anordnen, dass die Teilnehmerinnen und Teilnehmer ihre Rechte ausschliesslich ausüben können: (a) auf schriftlichem Weg oder in elektronischer Form; oder (b) durch einen vom Veranstalter bezeichneten unabhängigen Stimmrechtsvertreter» (Artikel 6a). Der Veranstalter habe sich für die Variante (a) oder (b) während der «Frist gemäss Artikel 12 Absatz 6», d.h. bis zum 19. April 2020, zu entscheiden. Die Generalversammlung müsse aber nicht innert dieser Frist durchgeführt werden. Die Anordnung müsse spätestens vier Tage vor der Veranstaltung schriftlich mitgeteilt oder elektronisch veröffentlicht werden.
II.
Wie ist die Regelung in der Verordnung zu verstehen?
Zunächst ist festzuhalten, dass sich die beiden Varianten gegenseitig ausschliessen. Die schriftliche oder elektronische Stimmabgabe kann nicht mit der Vertretung durch einen unabhängigen Stimmrechtsvertreter verbunden werden.
U.E. beschreibt Variante (b) eine «ausgedünnte Präsenzveranstaltung», die der Vorsitzende physisch leitet und an welcher der unabhängige Stimmrechtsvertreter sämtliche Gesellschafter, Genossenschafter oder Vereinsmitglieder vertritt, die ihre Stimme abgeben wollen. Generalversammlungen von Aktiengesellschaften unter Mitwirkung von unabhängigen Stimmrechtsvertretern sind seit längerem verbreitet, so dass Variante (b) keine besonderen rechtlichen Unklarheiten über die Abwicklung schafft. Zur Gestaltung der Instruktionsformulare gibt es reichhaltige Literatur, die auf viele Einzelfragen Bezug nimmt.
Demgegenüber findet bei Variante (a) keine Präsenzveranstaltung statt; die Stimmen werden schriftlich oder elektronisch abgegeben, ausgezählt, und aus den Ergebnissen wird die Beschlussfassung ermittelt, die dann protokolliert wird.
Variante (a) führt, so einfach der Wortlaut in der Verordnung klingen mag, zu einigen Schwierigkeiten:
Die Rechte der Teilnehmerinnen und Teilnehmer im Zusammenhang mit Generalversammlungen erschöpfen sich nicht im Stimm- und Wahlrecht, sondern umfassen auch Informations-, Antrags- und Diskussionsrechte. Bei Generalversammlungen von Aktiengesellschaften werden Informationsbegehren, Voten und Anträge zu einzelnen Traktanden regelmässig an der Versammlung selbst gestellt und abgegeben (Traktandierungsbegehren mit Anträgen können vorgängig an den Verwaltungsrat gerichtet werden, der sie dann in die Traktandenliste aufnimmt; Publikumsgesellschaften weisen ihre Aktionäre häufig in entsprechenden Ankündigungen darauf hin und setzen eine Frist, bis wann solche Traktandierungsbegehren eingereicht werden können).
Stellt man sich vor, dass sich der Verwaltungsrat aufgrund des notrechtlichen Versammlungsverbots einige Tage vor dem angekündigten Zeitpunkt der Generalversammlung entscheidet, den schriftlichen Weg oder die elektronische Form zu wählen, ist sofort klar, dass es schwierig wird, einen vorgängigen Austausch mit den Aktionären über Informationsbegehren, Voten und Anträge zu führen. Der kurzen Minimalfrist von 4 Tagen ist wohl zu entnehmen, dass der Bundesrat davon ausging, ein solcher Austausch entfalle, und es gehe nur darum, zu den Traktanden in der Traktandenliste bzw. zu den dazu gestellten Anträgen die Stimmen der Aktionäre einzuholen. Es ist daher wichtig, dass der Verwaltungsrat sicherstellt, dass die Aktionäre schriftlich oder elektronisch erreicht werden und ihre Rechte auf diesem Weg ausüben können. Die Stimmabgabe kann mit ähnlichen Formularen erfolgen, wie sie bei Variante (b) für Weisungen an den unabhängigen Stimmrechtsvertreter verwendet werden; hinfällig sind aber allgemeine Weisungen bezüglich neuer Anträge oder neuer Traktanden, wie sie häufig in Formularen an den unabhängigen Stimmrechtsvertreter enthalten sind.
Der Verwaltungsrat, der die Einladung zur Generalversammlung und die Traktandenliste vorbereitet (diesbezüglich gelten wohl nach wie vor die bisherigen gesetzlichen und die statutarischen Bestimmungen), könnte bspw. der Einladung und der Traktandenliste zunächst ein Formular beilegen, mit dem innert kurzer Frist Fragen zu den einzelnen Traktanden unterbreitet oder weitere Anträge oder Gegenanträge zu den Traktanden gestellt werden können. Anhand der zurückgesandten Formulare könnte der Verwaltungsrat zum einen Stellungnahmen zu den aufgeworfenen Auskunftsbegehren erstellen und zum anderen die Traktandenliste um die zusätzlichen Anträge oder die Gegenanträge ergänzen. Gestützt darauf könnte den Aktionären zusammen mit den Stellungnahmen zu den Auskunftsbegehren und der ergänzten Traktandenliste ein weiteres Formular zugestellt oder elektronisch zur Verfügung gestellt werden, mit dem die Stimmabgabe innert kurzer Frist (z.B. Vortag der Generalversammlung um Mitternacht am Sitz der Gesellschaft) erfolgen kann.
Wegen der kurzen Fristen und der durch den schriftlichen bzw. elektronischen Weg faktisch beschränkten Ausübung der Aktionärsrechte empfiehlt sich eine Verschiebung der Geschäfte, die wahrscheinlich streitig sind und die zu einem späteren Zeitpunkt behandelt und beschlossen werden können.
III.
Die massgebenden Verordnungsbestimmungen gelten bis am 19. April 2020. Es stellt sich die Frage, wie verfahren werden soll, wenn die Generalversammlung bspw. auf den 22. April 2020 festgelegt worden ist.
Wenn die Geltung der Verordnungsbestimmungen verlängert wird (was bis am 19. April 2020 möglich bleibt), ist eine Präsenzversammlung am 22. April 2020 verboten; auf die Befristung der Verordnungsbestimmungen bis zum 19. April 2020 zu vertrauen und im heutigen Zeitpunkt zu einer solchen einzuladen, erscheint daher als riskant.
Demgegenüber stützt sich eine Entscheidung des Verwaltungsrats vor dem 19. April 2020 für Variante (a) oder (b), auch wenn die Geltung der Verordnungsbestimmungen nicht verlängert wird, auf im Zeitpunkt der Entscheidung gültiges Recht. Es liegt kein Anfechtungs- (oder gar Nichtigkeitstatbestand) vor, wenn der Verwaltungsrat einen solchen Entscheid jetzt kommuniziert und ihn nach einem allfälligen Ablauf der Gültigkeit der Verordnungsbestimmungen umsetzt.
Alternativ kann die Generalversammlung verschoben werden. Die Generalversammlung darf jederzeit innerhalb der vom Gesetz oder von den Statuten festgelegten Fristen durchgeführt werden. Aus einem sachlichen Grund wie der COVID-19-Situation kann sie sogar nach Ablauf dieser gesetzlichen bzw. statutarischen Ordnungsfrist durchgeführt werden. Da es aber nicht klar ist, ob und eventuell bis wann das Veranstaltungsverbot verlängert wird, bietet die Möglichkeit der Durchführung der Generalversammlung im Sinne von Artikel 6a der COVID-19-Verordnung 2 eine sicherere Lösung.
IV.
In den vergangenen Tagen haben bereits einige Publikumsgesellschaften, deren Generalversammlungen in den nächsten Tagen und Wochen stattfinden sollen, reagiert und ihre Entscheidungen publiziert.
Da diese Gesellschaften durchwegs einen unabhängigen Stimmrechtsvertreter bezeichnen mussten und folglich auch ein Instruktionsformular vorbereitet hatten, lag es nahe, Variante (b) zu wählen und die Aktionäre zu ersuchen, den unabhängigen Stimmrechtsvertreter mit der Abgabe ihrer Stimmen zu betrauen.
Eine Gesellschaft hielt in ihren publizierten Erläuterungen dazu fest, dass Aktionäre auf elektronischem Weg auch Fragen unterbreiten könnten, die an der Präsenzveranstaltung beantwortet und die mit den Antworten protokolliert würden. – Eine andere Gesellschaft wies darauf hin, dass allenfalls dennoch anreisende Aktionäre ihre Stimmrechte auch noch unmittelbar vor der Präsenzveranstaltung dem unabhängigen Stimmrechtsvertreter übertragen können.