Verbotene Vertriebsabsprachen

 

von Dr. iur. HSG Christian Alexander Meyer, licencié spécial en droit européen ULB; Rechtsanwalt und Schiedsrichter

 

Das Bundesgericht bestätigt im BMW-Fall  am 24. Oktober 2017 seine Praxis zum Auswirkungsprinzip für die Schweiz und zur Erheblichkeit einer Wettbewerbsabrede. Damit hat das Bundesgericht seine Praxis gemäss Gaba oder Elmex-Entscheid vom 28. Juni 2016 gefestigt (zur Würdigung vgl. Verbotene Vertriebsabsprachen mit Wirkung für die Schweiz). Nun sind mögliche Auswirkungen von Wettbewerbsabreden über Gebiet, Preis oder Menge auf die Schweiz unabhängig von der Lage der Abrede oder der Umsetzung in der Schweiz sanktionierbar.

Vorgeschichte

Die BMW AG untersagte ihren Händlern seit dem 1. Oktober 2003 Fahrzeuge und Ersatzteile an Abnehmer ausserhalb des EWR zu liefern. Am 12. Oktober 2010 reichte ein Kaufinteressent aus der Schweiz eine entsprechend Anzeige bei der Wettbewerbskommission in BERN (WEKO) ein. Das Schweizer Fernsehen nahm sich des Themas an und übermittelte 19. Oktober 2010 eine unglückliche Stellungnahme der BMW AG, es gelte gegenüber der Schweiz kein EU Kartellrecht (BMW Sachverhalt). Bereits am 25. Oktober 2010 eröffnete die WEKO eine Untersuchung und belastete die BMW AG anschliessend am 7. Mai 2012 mit dem Betrag von CHF 156 Mio. Bundesverwaltungsgericht (Urteil vom 13. November 2015 B-3332/2012) und Bundesgericht bestätigten diesen Entscheid. Was ergibt sich daraus für den Praktiker?

Territorialer Geltungsbereich des Kartellrechts nicht geklärt

Genauso wie das Wettbewerbsrecht der EU kennt das Schweizer Kartellgesetz (KG) das Auswirkungsprinzip. Dieses Detail hat die BMW AG in ihrer Antwort an die WEKO verkannt.

„Für die Unterstellung unter das Kartellgesetz t(KG) ist stets massgebend, dass sich die Tätigkeit in der Schweiz, d.h. auf dem Schweizer Markt, mindestens möglicherweise auswirken kann.“ (BMW E 3). Aufgrund dieser Formulierung bleibt allerdings unklar, ob ausländische Abreden ohne Bezug zur Schweiz darunter fallen, trotz der Bemerkung des BGer: „Allerdings ist es nicht so, dass Vertikalvereinbarungen amerikanischer Unternehmen, welche den Export nach Kanada beschränken, vom KG erfasst und sanktioniert würden.“ Weil das BGer gleichzeitig betonte, Art. 2 Abs. 2 KG verlange nicht, dass die Auswirkungen einer gewissen Intensität bedürfe. Sobald es unter Vertriebspartnern weltweit nicht unvernünftig erscheint, dass Schweizer Interessenten sich melden, darf zumindest deren passive Belieferung nicht verboten sein (Verbotene Vertriebsabsprachen mit Wirkung für die Schweiz, Fn 36, Harley-Davidson).

Erhebliche Beeinträchtigung des Wettbewerbs

Meist gelingt den Teilnehmern an einer Abrede der Beweis, der wirksame Wettbewerb sei nicht beseitigt. Oft zeigt sich, dass Abreden nicht konsequent befolgt werden oder der Graumarkt spielt. Nun bestätigte das BGer, dass es darauf nicht ankomme, sondern auf die qualitative Erheblichkeit abzustellen sei. Damit ändert das Bundesgericht faktisch das Schweizer Konzept einer Missbrauchsgesetzgebung mit Rechtfertigungsmöglichkeit und schafft ein per se Verbot für gewisse Abreden, wie etwa Preis- oder Gebietsabreden oder die Einschränkung von Produktion, Bezug oder Lieferung.

Die Methodologie zur Erheblichkeit aus dem GABA-Entscheid wurde bestätigt. Erheblichkeit dient als Aufgreifkriterium der Abgrenzung zur Bagatelle. Damit sind Abreden gemäss Art. 5 Abs. 3 und 4 KG, horizontale und vertikale Gebiets-, Preis- oder Mengenabreden, in der Regel erheblich im Sinne von Art. 5 Abs. 1 KG.

Das BGer betonte methodologisch erneut die Gründe aus GABA: Trotz Widerlegung der Vermutung der Beseitigung des wirksamen Wettbewerbs verlören besonders schädliche Abreden nicht ihre Schädlichkeit. (BMW E 4.3.1) Damit ist zu befürchten, dass das BGer mit dieser Bestätigung ein „per se Verbot“ für derartige Preis-, Gebiets- und Mengenabreden geschaffen hat. Der Ansatz mag sein Wurzeln im Zweck-Verbot der EU haben. Den Begriff „bezwecken“ kennt das KG auch in Art. 4 Abs. 1 KG. Weiter wurde bestätigt, dass das KG den potentiellen Wettbewerb schütze. Damit dürfte in der Praxis wohl gar nicht mehr geprüft werden, ob der potentielle Wettbewerb tatsächlich beeinträchtigt ist. Durch die Argumentation des BGer wird der Ansatz des Gesetzes verkürzt, wenn alle Tatbestände gemäss Art. 5 Abs. 3 und 4 KG ohne weiter Untersuchung oder Erwägung nun praktisch als Wettbewerbsabreden gemäss Art. 4 KG und direkt auch als erheblich gemäss Art. 5 Abs. 1 KG gelten.

Die Auswirkungen einer Abrede nicht mehr prüfen zu müssen, erscheint auch angesichts des Sanktionsrisikos bedauerlich. Jeder Anwalt muss den Parteien raten, derartige qualitative Elemente nun ausnahmslos zu vermeiden, auch wenn sie im Einzelfall noch so sinnvoll und vorteilhaft wären, um Sanktionen zu vermeiden.

Sanktionierung

In den Verfahren zu GABA und BMW gelang es den Parteien die gesetzliche Vermutung der Beseitigung des Restwettbewerbs zu widerlegen. Wiederum bestätigte das BGer, dass das Verhalten trotzdem sanktionierbar bleibe, solange der Wettbewerb durch die Abrede erheblich beeinträchtigt werden könne, nicht erst wenn der wirksame Wettbewerb beseitigt sei. (BMW E 5.4) Damit sei der objektive Tatbestand des Art. 49a KG erfüllt. Das BGer erhob seine Erwägungen 3 zum Auswirkungsprinzip und 4 zur Erheblichkeit damit zur Strafnorm. Argumente aus dem klassischen Strafrecht zu „nulla poena sine lege“ oder zur „lex strictae“ dürften sich damit erübrigen.

Bei der Zumessung der Busse hielt das BGer dafür, dass BMW trotz besonders schwerer Abrede den Wettbewerb nicht beseitigt sondern lediglich beeinträchtigt habe und dies nicht rechtfertigen konnte. Daraus ergebe sich ein mittelschwerer Verstoss. Weiter sei die gesamte Fahrzeugpalette von BMW und nicht nur die Mittel-, Ober- und Luxusklasse für die Bussgelbemessung heranzuziehen. Damit schaffte und bestätigt das Gericht die Grundlage für die Kartellbusse unter nochmaliger Betonung, Art und Schwere des Verstosses seien mit dem Fall GABA vergleichbar. (BMW E 6.4)

Ermahnung zur Vorsicht

Die Qualität der Abrede, nicht deren Wirkung, rückt ins Zentrum der Prüfung. Ob ein Markt faktisch von einer (Schubladen-)Abrede betroffen ist, ist nicht mehr zu prüfen. Die potentielle Beeinträchtigung genügt. Das mag bedauerlich sein, schafft aber Klarheit.

Die Bestätigung der Argumente aus GABA in BMW, des räumlichen Geltungsbereichs via Auswirkungsprinzip und des „per se Verbotes“ von Preis-, Mengen- und Gebietsabsprachen führen in der Theorie zu einem weltweiten Verbot derartiger Abreden. Nur das vernünftige Augenmass der WEKO vermag hier heute noch Grenzen zu setzen. Sie wird entscheiden, was eine Bagatelle oder eine qualitativ besonders schädliche Abrede ist. Wirkt sich eine Abrede auf die Schweiz aus und greift die WEKO einen solchen Fall auf, muss die betroffene Partei von Beginn an alles daran setzen, die WEKO vom Gegenteil zu überzeugen. Andernfalls ist die Rechtslage nun klar zuungunsten der Vereinbarer derartiger Abreden geklärt und eine Sanktion unvermeidbar.

Zu hoffen, man könne einen Fall dann im Verfahren via wirtschaftliche Effizienz retten, dürfte gefährlich sein. Überzeugende Argument lassen sich, wenn überhaupt, nur noch im qualitativen Selektivvertrieb finden für Lieferverbote gegenüber nicht zugelassenen Grosshändlern. Allerdings ist diese Ausnahme gewollt und typenbildend für den Selektivvertrieb im Luxusgüterbereich und deshalb nicht zu verallgemeinern.

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