Gedanken zum Vertriebsrecht

von Dr. iur. HSG Christian Alexander Meyer, licencié spécial end droit européen ULB, Rechtsanwalt 

Vertriebs- und Agenturverhältnisse sind auf Dauer ausgerichtete Absatzmittlerverhältnisse und durch mehrere Rechtsbereiche geregelt. Die folgenden Gedanken zum Vertriebsrecht thematisieren ausgewählte Fragen der Vertragsbeendigung, des Schweizer Kartell- und des Europäischen Wettbewerbsrechts. Rechtswahl, Rabatte, Onlinevertrieb und Korruptionsvermeidung werden beleuchtet. Konsumentenschutz erhöht den nachvertraglichen Vertriebsaufwand. Interdisziplinäre Ansätze fördern effiziente Vertriebslösungen.

Die Rechtsentwicklung zum Vertriebsrecht im Ausland kann die Rechtswahl und den Gerichtsstand gefährden. Seit dem INGMAR-Entscheid des EuGH sind die Schutzbestimmungen zu Gunsten des Handelsvertreters für seinen Ausgleichsanspruch gemäss EU-Handelsvertreterrichtlinie zwingend und die Rechtswahl ist somit eingeschränkt. Seither versagen die Gerichte der EU-Mitgliedsstaaten die Anerkennung von Gerichtsständen, wenn das von den Parteien gewählte Recht keinen Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters nach Vertragsbeendigung kennt.

Die Vertriebsvertragsbeendigung kann verschiedene Probleme aufwerfen. Der Vertriebsvertrag begründet im Normalfall ein Dauerschuldverhältnis, wobei erfahrene Vertriebspartner die Beendigungsmodalitäten ihren Bedürfnissen entsprechend selber regeln. Die Analogie für die ausserordentliche Vertriebsvertragsbeendigung aus wichtigem Grund, wie man sie aus dem Arbeitsrecht kennt, ist für typische Vertriebsverträge unzulässig. Der Abnehmer ist in den wenigsten Fällen natürliche Einzelperson und deshalb ist dessen Situation nicht arbeitnehmergleich. Als Folge kann auch bei extremen Leistungsstörungen die Zusammenarbeit zumindest bis zur ordentlichen Beendigung zumutbar bleiben. Es gilt der Grundsatz „pacta sunt servanda“.

Bekommt der Lieferant durch die vom Abnehmer neu geschaffene Kundschaft einen Vorteil nach Vertragsbeendigung, hat er dem Abnehmer dafür eine angemessen Entschädigung zu leisten. Ratsam ist die Modalitäten dafür genau zu regeln.

Bei der Kundschaftsentschädigung kennt die Lehre schon lange den Analogieschluss vom Agenten auf den Alleinabnehmer. Der umgekehrte Fall, dass auch der Agent eine selbständige Rolle haben kann, wird dagegen in der Schweiz immer noch zu wenig thematisiert. Gerade dadurch können sich kartellrechtlich Fallstricke ergeben. Der wettbewerbsrechtlich selbständige Agent und die zugehörige Vertikalabrede sind kartellrechtskonform zu gestalten und zwar nicht nur dann, wenn eine Partei in der EU ist.

Das Kartellrecht im Bereich der Vertriebsverträge weist Tücken auf. Art. 6 KG dient als Grundlage für die Bekanntmachungen der WEKO. Der Auftrag lautet, Voraussetzungen zu umschreiben, unter denen Abreden aus Gründen der wirtschaftliche Effizienz als gerechtfertigt gelten im Sinne von Art. 5 Abs.

2 KG. Ziffer 16 Abs. 3 VertBek und Art. 14 Abs. 2 KFZ-Bek der WEKO besagen nun aber, dass wirtschaftliche Effizienz immer im Einzelfall zu prüfen sei.

Wünschbar wäre es, in der Bekanntmachung wenigstens ein paar Voraussetzungen zu definieren, welche Arten von Abreden als wirtschaftlich effizient gälten.

Der vorbehaltene Effizienztest des Einzelfalles in den Bekanntmachungen vermittelt dem Praktiker nicht die vom Art. 6 KG für Bekanntmachungen versprochene Rechtssicherheit und beschränkt eher die Vertragsfreiheit, soweit die Parteien auf die Bekanntmachungen Rücksicht nehmen sollen.

Vertriebsmittler in korruptionsgefährdeter Umgebung sind anhand eines Compliance Programmes besonders sorgfältig auszuwählen, zu instruieren und zu überwachen.

Mehr „Gedanken zum Vertriebsrecht“ finden Sie auch im gleichnamigen Artikel des Autors im Jusletter vom 2. Mai 2016.