Kartellrechtliches Ende des Alleinvertriebs als Chance für Neuanfang?

von Dr. iur. HSG Christian Alexander Meyer, licencié spécial en droit européen ULB; Rechtsanwalt und Schiedsrichter

Erzwungener Strukturwandel im Vertrieb
Die Wettbewerbskommission und die Gerichte führen seit 2015 einen Strukturwandel herbei, der so im Kartellgesetz vielleicht gar nicht beabsichtigt war? Das schafft neue Geschäftsmodelle und Chancen für den Handel auch unter Berücksichtigung des Vertriebs über das Internet (Stichworte Onlinehandel, Geoblocking, Digitalisierung etc.).

Funktion des Vertriebsmittlers
Hersteller und Lieferanten, die sich keine eigene Vertriebsorganisation leisten können, haben oft neue Märkte mit der Unterstützung von auf eigene Rechnung handelnden Abnehmern vertrieben. Diese haben den Markt durch eigenes Marketing erschlossen und den Kunden die Produkte erklärt und sie kompetent beraten. Daneben haben sie meist ein Waren- und Ersatzteillager unterhalten und Garantiefälle erledigt, alles meist auf eigene Rechnung. Im Gegenzug hat der Lieferant den Alleinabnehmer exklusiv beliefert und der Abnehmer exklusiv nur vom Lieferanten gekauft. Der absolute Gebiets- oder Kundenschutz hat dem Abnehmer ermöglicht eine vertretbare Marge bei Wiederverkauf zu generieren, die ihm diese Aufgaben erst finanziert haben, ohne den Lieferanten finanziell zu belasten. Das hat dem Hersteller neue Märkte, dem Zwischenhändler ein Geschäftsmodell und dem Kunden umfassende Betreuung beschert und war dadurch konzeptionell gerechtfertigt (Art. 6 Abs. 1 lit. c Schweizer Kartellgesetz).

Wettbewerb um jeden Preis
Nun hat die Schweizer Wettbewerbskommission in Zusammenspiel mit dem Bundesverwaltungsgericht und dem Bundesgericht dieses Geschäftsmodell ohne Not und trotz abweichender gesetzlicher Regelung dem EU-Recht angeglichen. Faktisch ist der absolute Kunden- oder Gebietsschutz nicht mehr zu rechtfertigen. Im BMW-Fall hat das Bundesverwaltungsgericht am 13. November 2015 erkannt, extraterritoriale Vereinbarungen die die Schweiz betreffen unterstünden der Kompetenz der Schweizer Wettbewerbsbehörden und eine Effizienz der Abreden sei nicht substantiiert worden (B-3332/2012). Dagegen ist eine Beschwerde hängig.

Jüngste Gerichtspraxis
Am 28. Juni 2016 hat das Bundesgericht im GABA Fall erkannt, Preis-, Mengen- und Gebietsabreden seien aufgrund ihrer Qualität grundsätzlich als erhebliche Beeinträchtigung des Wettbewerbs zu betrachten, auch wenn es gelänge zu zeigen, dass der wirksame Wettbewerb nicht gänzlich beseitigt sei. Dies gelte unabhängig von quantitativen Kriterien. Entsprechende Abreden seien vorbehältlich einer Rechtfertigung durch Gründe der wirtschaftlichen Effizienz unzulässig (2C_180/2014). Die Beweis- und Substantiierungslast für die Effizienz liegt bei den Beteiligten an einer Abrede und ist fast nicht zu erbringen.

In der Sache Nikon hat das Bundesverwaltungsgericht am 16. September 2016 rechtskräftig die Wettbewerbskommission bestätigt. Ein absoluter Gebietsschutz bestehend aus einem aktiven und passiven Exportverbot in die Schweiz, einem Importverbot für Händler in der Schweiz und Druck auf den Vertriebspartnern zu deren Durchsetzung stelle eine erhebliche Beeinträchtigung des Wettbewerbs dar. Bei Vertikalabreden stehe seit dem GABA Fall dieses qualitative Kriterium im Vordergrund. Aber auch die tatsächliche Marktwirkung sei erheblich.

Strukturwandel
Konzeptionell war der Gebiets- oder Kundenschutz immer margenwahrend, liess aber dennoch unterschiedliche Preise auf der gleichen Vertriebsstufe zu. Verlässt man dieses Konzept, verzichtet man auf alle Wohlstandseffekte, die diese Vertriebsstufe zu Gunsten der Kunden erbringt: Produktwerbung, Präsentation, Beratung, Lieferung ab Lager und nachvertraglicher Kundendienst.

Das Kartellrecht zwingt somit alle Alleinvertriebssystempartner Graumärkte europaweit hinzunehmen, dort wo Passivverkäufe in Absatzmärkten Dritter nicht vertraglich ausgeschlossen werden dürfen. Wahrscheinlich werden in den kommenden Jahren einige exklusive Abnehmer von Gütern, die keinen nachvertraglichen Beratungs- oder Wartungsbedarf haben, verschwinden. Selektivvertrieb oder integrierte Absatzkanäle sind nicht immer geeignete Alternativen. Bereits heute dürfte es treuwidrig sein einem Abnehmer Werbe- und Verkaufsauflagen zu machen oder verbindliche Verkaufszahlen mit ihm zu vereinbaren, wenn sein Markt dem Grauimport ausgesetzt ist. Der Konsument verliert dadurch seinen Ansprechpartner vor Ort.

Onlinevertrieb und Digitalisierung als Chance
Der Konsument, der sich alle Fragen vom konzessionierten Vertragshändler beantworten lässt und dann online einkauft, verteilt die Rollen im Vertrieb neu. Motivierte anpassungsfähige Vertriebspartner werden auch ohne Gebiets- oder Kundenschutz überleben. Sie müssen sich neue Geschäftsfelder erschliessen und gewisse Kosten, etwa für die Beratung auf den Konsumenten, abwälzen. Die bezahlte produktspezifische Kundenberatung wird zum eigenen Geschäftsfeld. Im Rahmen der Digitalisierung kann der Kundendienst auf ganz neue Art gestaltet und via Internet erbracht werden. Der Lieferant muss wieder selber für seine Produkte werben. Der Produktpreis umfasst Herstellungs- und Logistikkosten und eine geringe Handelsmarge. Lager-, Garantie-, Marketingkosten oder die Beratung werden separat und zum Teil auch an andere Kostenträger verrechnet. Das löst das Problem der Händler mit Verkaufsgeschäften in Konkurrenz zum Onlinehandel oder des Geoblockings von alleine. Zunächst müssen die Lieferanten und die Vertriebsmittler allerdings die Konsumenten vom neuen Geschäftsmodell überzeugen.

Weiterführend dazu ein Editorial und die Kommentierung zum GABA-Entscheid: Verbotene Vertriebsabsprachen mit Wirkung für die Schweiz.

Christian Alexander Meyer berät Sie gerne bei der Gestaltung Ihrer Zukunft in Handel und Vertrieb auf allen Stufen, beim Onlinevertrieb oder bei Themen wie dem Geoblocking oder der Digitalisierung.